Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen. Roman.
Frank Schulz, Rowohlt 2016

Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen

Sünd ji noch all dor? - Eher nicht.

Sechs Jahre nach den Erlebnissen mit dem "Irren vom Kiez" leidet Onno Viets immer noch unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch Edda, die Jugendliebe, mit der der gutherzige, stoische, liebenswürdige Onno eine vermeintlich ewige Beziehung pflegt, ist inzwischen spürbar auf Distanz gegangen. Da kommt es gerade recht, als der verrückte, alte Vetter Donald auftaucht und Onno als "Leibwächter" anheuert, um eine Woche gemeinsam auf dem Mittelmeer herumzuschippern, auf der "Flipper IV", weil Vetter Donald dort eine junge, hübsche Frau stalken will, die im Entertainment-Ensemble tätig ist und von der Donald glaubt, sie erwäge eine Beziehung mit ihm. Dass das völlig absurd ist, weil der Vetter wie eine im Keller vergessene Kartoffel aussieht und in etwa so freundlich wie ein albanischer Auftragskiller ist, steht zwar von Anfang an fest, aber der Weg ist das Ziel. Nur sind Ziel und Start bei einer Kreuzfahrt oft dasselbe - und der Weg führt lediglich im Kreis. Was dramaturgisch recht gut zusammenfasst, was in diesem Ungetüm von einem Roman passiert. Nämlich so gut wie nichts.

Frank Schulz bedankt sich im Nachwort bei "AIDA cruises", weil die Firma ihn auf eine Kreuzfahrt mit der "AIDAvita" eingeladen hatte. Eine kurze Suche fördert zutage, dass sich Schulz bei seinen Schiffsbeschreibungen an das Original gehalten hat - wenn er von der "Anytime Bar" und dem "Time Tunnel" und ähnlichem erzählt, dann meint er seine persönlichen Erlebnisse und eben jenes Schiff. Vermutlich wurde er als Autor für Lesungen auf dem Pott eingeladen - und kam dabei auf die Idee, das Setting für Onno Viets zu verwursten. Das ist, um es kurz zu sagen, gründlich misslungen.

Sechs Tage lang muss man miterleben, wie der misanthropische Vetter und der hinterhertrottende Leibwächter, der all das irgendwie mag, von der Kabine zum Frühstück und auf das Pooldeck oder in irgendeine Bar schlingern, die "Fratzen" (Donald) beobachten und am nächsten Morgen wieder von vorne anfangen. Sie saufen, sie rauchen auf dem Kabinenbalkon, sie schwatzen, meistens über alte Zeiten oder die anderen Gäste, selten mit ihnen. Donald lästert, Onno verhält sich defensiv-wohlwollend. Die Betrachtung des Mikrokosmos' schleift sich spätestens am zweiten Tag; da ist nichts unerwartet oder überraschend, nicht einmal originell, aber Schulz wiederholt es dennoch, zitiert gar die faden Witze, mit denen die Shows im Amphitheater eingeleitet werden, und dann geht's wieder in den "Time Tunnel" oder die "Anytime Bar" oder so. Hin und wieder gönnt sich Onno einen Landgang, während Donald seine Angebetete umkreist wie ein vergessener Satellit die Erde im Orbit. Was man lernt: Kreuzfahrten sind irgendwie doof, aber gut organisiert, das Essen schmeckt - und man trifft viele durchschnittliche Menschen, denen völlig egal ist, dass so ein Topf auf hundert Kilometer so viel Diesel verbraucht wie alle PKW der Republik zusammengenommen. O-kay. Für diese Erkenntnis bräuchte man aber keinen handlungsfreien Roman. Anders gesagt: Schulz hätte auch sein persönliches Reisetagebuch veröffentlichen können. Oder eine zynische Reportage, wie dereinst David Foster Wallace mit seinem kongenialen "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft bitte ohne mich".

Die eigentliche Geschichte ist eine ganz andere, nämlich die von jener Liebe zwischen Edda und Onno. Da kriselt es, und zwar ganz erheblich, aber das wird leider auf den letzten paar Seiten abgehakt. Der Weg dorthin ist schwierig, meistens ziemlich langweilig und unterm Strich völlig überflüssig (weil: Kreis), ergänzt außerdem um viele unnötige Wiederholungen, die die Vorgeschichte erzählen, die aber längst bekannt ist, nämlich aus dem - guten - "Onno Viets und der Irre vom Kiez".
Aber Schulz ist Schulz und nicht irgendwer. Sprachliche Kapriolen, herrlich schräge Bilder und treffende Neologismen gibt es auch in diesem Buch, manch ein Satz taugte selbst für anspruchsvollere Aphorismensammlungen, und einiges ist tatsächlich urkomisch - aber ausgerechnet die Einschübe vom "Kasper Spackennacken" aus Vetter Donalds gleichnamigem Puppenprogramm sind es beispielsweise leider nicht. Die Betrachtungen der Kreuzfahrttouristen haben einen großen und für Schulz ungewöhnlichen Fremdschamfaktor, auch und vor allem, weil sich der Autor hinter dem ollen Vetter Donald versteckt - und den auf Leute eintreten lässt, die sowieso metaphorisch am Boden liegen. Zwischen den Zeilen wird angedeutet, dass da noch eine weitere Geschichte um Onno Viets zu erzählen ist, und es steht zu hoffen, dass Schulz dann wieder zu alter Form zurückfindet - und darauf verzichtet, etwas, das sowieso lächerlich ist, als Nährboden für lahme Anekdotenabhakerei zu verwenden. Mehr ist dieser unoriginelle Reisebericht nicht. Die dramaturgische Klammer, nämlich die Liebesgeschichte, gewinnt oder verliert nichts durch diese ermüdenden sechs Tage an Bord.
Und deshalb lautet die Antwort auf die wiederkehrende Frage "Sünd ji noch all dor?" (Seid Ihr noch alle da?), mit der die Kasper-Spackennacken-Einschübe eingeleitet werden, tendentiell auch: Ja, schon, weil da Schulz schreibt. Aber auch nur deshalb. Obwohl es schmerzt, den Beweis dafür in den Händen zu halten, dass auch großartige Autoren zuweilen ganz schön tief ins Bordklo greifen können. Wie hier geschehen.

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ROMAN.
rororo, 28. August 2015


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